Das Schmidatal ist eine unaufgeregte Landschaft, deren Schönheit sich nicht dem ersten Blick erschließt. Es will "erschaut" werden und belohnt die Geduld des Wanderers erst dann, wenn er gelernt hat zu warten, bis die Schalen der Auster Schmidatal sich öffnen und unerwartet vor seinen Augen die scheue Pracht dieser Landschaft aufleuchtet.
Es ist uralter Siedlungsboden. Aus steinzeitlichen Jägern und Sammlern wurden sesshafte Bauern. Anlagen wie die aus der Zeit zwischen 5000 – 4500 v. Chr. stammenden Kreisgräben in Heldenberg oder Puch geben davon beredtes, wenn auch rätselvolles Zeugnis. Auf dem zum Gemeindegebiet von Roseldorf gehörigen Sandberg fand man die größte derzeit bekannt keltische Zentralsiedlung Österreichs, die unter Federführung der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen in jährlichen Grabungen intensiv beforscht wird. Die Ergebnisse belegen mit zahllosen Fundstücken, darunter besonders reichhaltigen und wertvollen Münzfunden, die Bedeutung der Siedlung als Kultstätte und Wirtschaftsort.
Uralter Siedlungsboden also und Herzstück einer Region an den Kreuzungspunkten jahrhundertealter Handelswege und ebenso alter Heerstraßen. Zahllose Kriegszüge haben das Land verwüstet und ausgeplündert. Die Geschichtsbücher berichten davon und auch davon, wie Fleiss und gläubige Zuversicht aus dem Verlorenen immer wieder neue Lebensgrundlage schufen.
Das Quellgebiet der Schmida liegt im Waldviertel in der Nähe der Ortschaft Harmannsdorf. Über Reinprechtspölla durchquert sie das Naturparadies "Autal", wendet sich über Kühnring Richtung Eggenburg, das sie westlich der Stadt umfließt, und weiter nach Stoitzendorf, wo sie das Waldviertel verlässt und ins Weinviertel eintritt. Über Röschitz, einen der bekanntesten und besten Weinorte der Region, führt ihr Lauf mit nun südlicher Fließrichtung nach Roseldorf. Sitzendorf, Ziersdorf, Glaubendorf und der Heldenberg sowie Großweikersdorf liegen am weiteren Weg, der dann über den Wagram ins Tullnerfeld führt, wo die Schmida nahe Korneuburg nach insgesamt knapp 74 zurückgelegten Kilometern in die Donau mündet.
In Roseldorf, einer Katastralgemeinde der Marktgemeinde Sitzendorf an der Schmida, befinden wir uns am nördlichen Rand des Schmidatals. Ab hier erst erlaubt es der Charakter der Landschaft, von einem Tal zu sprechen, einem Tal, das vor Millionen von Jahren von einem Urmeer überflutet war, aus dessen Ablagerungen das Entwässerungssystem der "Ur-Donau" nach und nach die heute sichtbaren Höhenrücken formte. Weit dehnt es sich aus zwischen den das Tal im Osten begrenzenden Hügelketten und dem Manhartsberg als Grenze im Westen. Die Schmida ist längst gezähmt. Regulierungen haben dem nach Unwettern oft aus den Ufern getretenen Fluss seine Freiheiten genommen und ihn streckenweise zu einem unscheinbaren Rinnsal verkommen lassen. Die begangenen Fehler sind kaum zu korrigieren, doch hat einsichtiges Umdenken durch die Anlage von Rückhaltebecken und Biotopen wie dem in Roseldorf der artenreichen Tier- und Pflanzenwelt des Schmidatales wieder naturnahe Räume geschaffen und Lebensraum zurückgegeben.
In einer alten Karte über das "viertl unter dem manhartsberg" lesen wir: "das viertl gibt vil wein und frucht, darumb von vilen menschen wird besucht". Das trifft damals wie heute auf die reichen Erträge aus dem Anbau von Getreide, Zuckerrüben, Erdäpfeln, Sonnenblumen oder Mais ebenso zu wie auf die florierende Weinwirtschaft. Aus dem ehemaligen Kernland war jedoch nach dem Untergang der k.u.k. Monarchie Grenzland geworden, schließlich entlang der jahrzehntelang vom Eisernen Vorhang gezogenen Trennlinie eine von Abwanderung bedrohte, für Besucher wenig attraktive Region im "toten" Winkel.
Die Zeit ändert viel. Sie und die unaufhaltsam fortschreitende Technisierung der Landwirtschaft haben auch hier viel verändert. Altes Handwerk ist aus den Dörfern verschwunden. Viele Felder und Rieden werden nur mehr im Nebenerwerb bewirtschaftet oder im Zug der unvermeidlichen Konzentration der Kräfte an größere Betriebe verpachtet.
Aber die Besucher kommen zurück. Viele kommen als Gäste, weil sie im Zauber der weltweit einzigartigen romantischen Kellergassen die Kultur und Gastlichkeit der Winzerhöfe in geselliger Runde mit den g'standenen Einheimischen erleben, teilen und genießen möchten. Und nicht wenige, darunter viele Künstler, bleiben, weil sie in der Seele die tiefe Bindung an das Wesen dieser Landschaft spüren, nicht auf den ersten, sondern auf den zweiten Blick und auf viele weitere. Und weil sie in der Stille und Weite dieser Landschaft jene Ruhe finden, die sie im geschäftigen Trubel der Städte längst verloren glaubten. Das Land atmet im Rhythmus der Jahreszeiten und umgarnt das Auge im Wechsel von erblühender Frühlingspracht zur satten Fülle des Sommers, vom Farbenspiel der Reife des Herbstes zur Strenge der geometrischen Muster des Winters. Darüber ausgespannt ein scheinbar unendlicher Himmel, dessen in zahllosen Schattierungen auf- und abebbender Puls den Betrachter in ein anderes Zeitmaß entrückt.
Das Entdecken wird dem Besucher leicht gemacht. Ein dichtes Netz von Radwegen verbindet die Ortschaften. Dem Wanderer stehen zahllose Möglichkeiten offen, sich abseits der Hauptstraßen von der Schönheit der Weingärten, der Wälder, Fluren und blütenübersäten Wiesen überraschen zu lassen.
Jeder der Orte hat Sehenswertes, Erlebenswertes und meist auch Hörenswertes zu bieten. Der in seiner Dimension beeindruckende Hauptplatz in Sitzendorf lädt mit seinen historischen Gebäuden zu einem Spaziergang durch die Architekturgeschichte ein. In der Pfarrkirche, die mit dem ganzfigurigen Marmor-Porträt des 1504 verstorbenen Ritters Hanns von Wulfestorff einen besonderen Schatz beherbergt, erklingen im Rahmen der jährlichen Herbstkonzerte musikalische Meisterwerke in klassischem und zeitgenössischem Gewand. Ziersdorf präsentiert im wunderschönen Jugendstilsaal des mit viel Fingerspitzengefühl renovierten "Konzerthauses Weinviertel" Kulturvielfalt mit Theater und Kabarett, Lesungen, Aussstellungen und Musik zwischen Klassik, Pop und Weltmusik. Der stilvoll restaurierte Brandlhof in Radlbrunn, urkundlich erstmals 1209 erwähnt, ist mit seinem vielfältigen Angebot an Veranstaltungen und Handwerkskursen beliebtes Zentrum der Volkskultur. Am Heldenberg lockt im Park des Schlosses Wetzdorf ein kurioses "österreichisches Walhalla" mit dem Mausoleum für Radetzky und einer 169 erzene Büsten von Regenten und Heerführern umfassenden Ruhmesgalerie. Seit 2005 haben die Lipizzanerhengste der Spanischen Hofreitschule in Heldenberg ihr Sommerquartier. Gleich daneben bietet das Koller Oldtimermuseum exquisite Beispiele aus 131 Jahren Automobilgeschichte.
Viel Musik tönt in und aus dieser Landschaft. In ihrem Gedichtzyklus "Rosa Lacrimosa" schreibt Christiana Schönborn-Buchheim: "Alles fließt und so soll es sein, es sind die Gegensätze allein, die uns erst machen bewusst, den Unterschied von Glück und Verlust."
Im September 2018 werden die Gedichte in der Vertonung durch Johanna Doderer in der Pfarrkirche Sitzendorf erklingen.
Sie sind herzlich eingeladen.
Johann Winkler